Donnerstag ist Bio-Kisten-Tag

Irgendwann in den späten Achtzigern fing meine Mutter an, uns mit damals noch eher freudloser Biokost zu beglücken. Ich nehme an, es hatte ein wenig mit den Nachwirkungen von Tschernobyl und sehr viel mit dem Wunsch zu tun, seinen Kindern möglichst gesundes Essen zu servieren.

Gemüse und Obst aus der Bio-Kiste.

Gemüsekiste aus den Vierlanden. Diese Woche mit Mangold, Melone, Möhren, Tomate, Rote Beete, Bananen und Salat.

Nur dass in dieser Zeit die Welt der Reformhäuser und Biobäckereien gerade erst so richtig entstand. Von Bioprodukten im Supermarkt oder den Biosupermarkt-Ketten war weit und breit noch keine Spur zu sehen. Bio, das war etwas für Eingeweihte in bestimmten Großstadtvierteln oder vielleicht noch in einigen Gemeinden im Wendland. Bio war mit Anstrengung und Entbehrung verbunden, leider auch geschmacklich. Ich erinnere mich an Kuchen aus diesem leicht muffigen, sehr groben dunklen Vollkornmehl. Gesüsst mit Honig statt Zucker. Schmeckte immer staubig und legte sich im schlimmsten Fall wie Tapetenkleister gegen den Gaumen.

Bio-Obst und -Gemüse war meist weniger schön anzusehen. Naturkostläden und Reformhäuser verströmten zudem diesen unappetitlichen Geruch aus leicht angefaultem Obst, schlecht gekühltem Käse und einer ordentlichen Prise Yogi-Tee, natürlich bio-dynamisch angebaut. Manchmal kam noch das süßliche Aroma von Patschuli-Räucherstäbchen dazu.

In den Neunzigern wurde es besser, denn da entdeckte meine Mutter den Lieferservice für Bioprodukte. Immer donnerstags fuhr fortan Gerd mit seinem etwas klapprigen Lieferwagen vor und brachte uns Obst, Gemüse, Milchprodukte und Fleisch aus dem Wendland. Gerd sah ein bisschen aus wie Peter Lustig nur ohne Bart und Bauch, dafür mit Haaren. Er war groß, dünn und drahtig, hatte verwuschelte, leicht angegraute Haare und trug gern Latzhosen, die immer fleckig und oft zerrissen waren. Er fuhr früh morgens im Wendland los und belieferte Hamburger in den einschlägigen Vierteln in ihrer Jugendstil-Altbauwohnung. Im Sommer roch man, dass wohl die wenigsten Kunden einen Fahrstuhl hatten.

Ich mochte Gerd. Er war witzig, erzählte den Großstadt-Teenagern gern mal eine Anekdote vom Land oder seiner Liefertour und verkörperte diese ganz andere Welt der Aussteiger und Gorleben-Gegner.

Und ich mochte die Biokiste: Den Joghurt, auf dem sich oben eine kleine Sahneschicht absetzte. Die Äpfel, die zwar nicht immer einwandfrei aussahen, aber dafür frisch waren und wirklich nach Äpfeln schmeckten. Oder die Tomaten, die es nur während ihrer kurzen norddeutschen Saison gab. Gut, Pastinaken oder Topinambur fand ich höchst befremdlich. Und die nicht-homogenisierte Milch bildete Fettaugen auf dem Kaffee und hatte eine Haltbarkeit von maximal zwei Tagen. Aber insgesamt war diese Kiste jede Woche eine Mischung aus Carepaket und Wundertüte.

Seit letzter Woche habe ich wieder eine Gemüsekiste. Sie kommt aus den Vierlanden, der freundliche junge Lieferant sieht aus als hätte er eben noch in einem Café in Uninähe einen Espresso Macchiato eingenommen und erklärt sehr businessmäßig, wie die Lieferung ablaufen wird: Bestellung übers Internet, Anlieferung wöchentlich oder 14-tägig immer zur gleichen Zeit. Bitte spätestens zwei Werktage vorher Änderungswünsche durchgeben, alles kein Problem, ganz flexibel an die individuellen Wünsche angepasst. Wenn ich nicht da bin, bitte einem Nachbarn Bescheid geben, dass er ihn in den Hausflur lässt. Leergut einfach vor der Tür abstellen, wird dann wieder eingesammelt. Wenn es so warm ist wie diesen Sommer, gern ein nasses Handtuch dazu legen, das hält das gelieferte Gemüse frisch. „Hier unsere Broschüre für Neukunden, wenn Sie noch Fragen haben, dann wenden Sie Sich gern jederzeit an uns.“ Mein Biokisten-Lieferant siezt mich! Nach seinem Namen hab ich erstmal nicht gefragt.

Aber die Tomaten, die Bohnen und die Zwetschgen: Sie sind reif und sie schmecken wirklich gut.

Bio- oder Gemüsekisten liefern verschiedene Anbieter aus dem Hamburger Umland. Ob Demeter oder Bioland, ob individuell zusammengestellt oder als saisonale Kiste, die Auswahl ist inzwischen wirklich riesig und der Bestellvorgang extrem unkompliziert geworden. Ich habe mich für das Angebot der Gärtnerei Sannmann entschieden, deren Produkte ich schon auf dem Wochenmarkt schätze. Jetzt bekomme ich wöchentlich eine „Mixkiste, klein“, die je nach verfügbaren Sorten zusammengestellt wird. Es bleibt das Überraschungsmoment und ein wenig Herausforderung für die Küche, wenn Gemüsesorten drin liegen, zu denen ich auf dem Markt eher nicht greifen würde.

Letzte Woche machte mir die Kiste den Einstieg leicht: Römersalat, Flaschentomaten und Mini-Gurke wurden zu einem frischen Salat. Die Zwetschgen sorgten für den ersten Zwetschgenkuchen der Saison. Die grünen Bohnen verstanden sich ausgezeichnet mit Lammcarré und der Blumenkohl wurde frei nach einem Ottolenghi-Rezept zum lauwarmen Salat mit Haselnüssen, Rosinen, Zimt und Piment. Aber ich freue mich schon auf die etwas schwierigeren Kisten. Ich finde dann bestimmt auch gute Rezepte für Pastinaken oder Topinambur.